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Die Inklusion geflüchteter Schüler:innen stellt das deutsche Schulsystem seit einigen Jahren vor sichtbare Herausforderungen. Allein durch die Aufnahme von 250.000 ukrainischen Schüler:innen stehen wir vor einer Situation, die viel Aufmerksamkeit und Engagement erfordert.
Trotz aller Widrigkeiten, birgt dies auch Chancen: Einerseits können wir den ukrainischen Schüler:innen in ihrer Notsituation zumindest ein größtmögliches Maß an Sicherheit, Stabilität und Bildung bieten. Andererseits ergibt sich die Chance, aus diesem Lernprozess Erkenntnisse zu gewinnen, die allen Schüler:innen mit Flucht- und Zuwanderungserfahrung und letztendlich dem gesamten Schulwesen zugutekommen.
...💔 Die meisten geflüchteten Schüler:innen haben traumatische oder zumindest stark belastende Erfahrungen gemacht: Sie mussten sich plötzlich von Freund:innen und Familienmitgliedern trennen, manchmal sogar von einem oder beiden Elternteilen. Sie haben Angst um ihre Liebsten und wissen, dass eine Rückkehr in ihre vertraute Umgebung jedenfalls zeitnah unmöglich ist. Gleichzeitig müssen sie sich in einer neuen Umgebung zurechtfinden, in der sie die Sprache nicht sprechen, das Schulwesen und die Unterrichtsformen nicht kennen. Hinzu kommt, dass auch ihre Familienangehörigen sich oft emotional belastet und orientierungslos fühlen.
➡️ Um diesen Schüler:innen eine erfolgreiche Bildungsinklusion zu ermöglichen, benötigen sie eine entsprechende Begleitung seitens der Lehrkräfte. Dieses Dossier möchte dich als Lehrkraft auf diesem Weg unterstützen und erste Impulse als Hilfestellung liefern.
Geflüchtete Kinder, sowie ihre Eltern, befinden sich nach ihrer Ankunft und während des Schulbeginns in einer Phase der emotionalen Belastung, Ungewissheit und Orientierungsfindung. Um Ihnen einen guten Start zu ermöglichen sind Freundlichkeit und Offenheit, sowie die Schaffung eines beständigen und sicheren Umfeldes die wichtigsten Eigenschaften schulischer Bezugspersonen. Alleine das kann Schüler:innen emotional schon enorm entlasten!
Darüber hinaus ist es wichtig einige wesentliche Aspekte, die die Erfahrungen geflüchteter Schüler:innen prägen, im Umgang mit ihnen zu berücksichtigen:
Der Kulturschock beschreibt einen psychologischen Anpassungsprozess, den Menschen typischerweise durchlaufen, wenn sie sich für eine längere Zeit in einer Lebensumgebung befinden, die erheblich von ihrer bisherigen abweicht. Die einzelnen Phasen können individuell unterschiedlich intensiv durchlaufen werden, auch können sie zyklisch wieder eintreten. Für geflüchtete Schüler:innen ist dieser Prozess häufig besonders herausfordernd, da sie sich ohnehin in einem Zustand starker emotionaler Belastung befinden. Die Kenntnis der Phasen kann dir als Lehrer:innen dabei helfen, die kognitiven und emotionalen Herausforderungen migrierter Schüler:innen besser zu verstehen und adäquat darauf zu reagieren.
👐 Es ist wichtig, Schüler:innen zu beobachten und sie gegebenenfalls zu unterstützen. Wenn man beispielsweise merkt, dass sie starke emotionale Reaktionen zeigen (Rückzug, Apathie oder Aggressivität), dann kann es sein, dass sie sich in der Phase der Entfremdung befinden. Hier hilft es, empathisch zu sein, mit dem Kind zu sprechen und ihm – oder seinen Eltern – ein paar grundlegende Ratschläge mit auf den Weg zu geben:
🌻 Sofern es möglich ist, sollte das Kind "Wohlfühlmomente" erleben, in denen es sich entspannen und loslassen kann. Dies kann z.B. durch das Einnehmen vertrauter Mahlzeiten, bewusste Zeit mit vertrauten Menschen in der vertrauten Sprache oder auch das Schauen vertrauter Serien oder Filme geschehen. Diese Momente bieten eine emotionale Entlastung und können das Entfremdungsgefühl sowie den psychischen und physiologischen Stress lindern.
💭 Solltest du das Gefühl haben, dass ein Kind sich in einer Phase der Eskalation befindet, die sich zunehmend verschlechtert, kann die Unterstützung von psychosozialen Berater:innen notwendig sein.
Du bist kein/e Therapeut:in und nicht entsprechend geschult. Wende dich, wenn du betroffene Schüler:innen hast, an entsprechende Expert:innen. Tipps, wie du mit akut auftretenden Stress- oder Angstmomenten traumatisierter Schüler:innen umgehen kannst, findest du hier von Refugee Trauma Help.
Die meisten geflüchteten Kinder sprechen kein Deutsch, wenn sie in die Schule kommen. Der Erwerb der Bildungssprache trägt jedoch entscheidend zu ihrer Orientierung, ihrem Selbstbewusstsein und ihrem Bildungserfolg bei. Deshalb bildet eine diesbezügliche Sprachförderung einen Grundpfeiler der schulischen Inklusion. Wie diese strukturell umgesetzt werden soll, ist umstritten. Separater Unterricht, zum Beispiel in Vorbereitungsklassen, erleichtert die bedarfsgerechte Förderung, birgt jedoch die Gefahr, entsprechende Schüler:innen aus dem schulischen Sozialgefüge zu separieren und zu stigmatisieren. Ein mögliches Modell, um gezielte Sprachförderung und soziale Inklusion zu verzahnen, wird hier kurz vorgestellt: Das Sprachband.
💛 In unserem Dossier "Deutsch als Zweitsprache - DaZ" findest du weitere Tipps und Materialien zur gezielten Sprachförderung.
💛 In unserem Dosser "Elterngespräche führen - ein Leitfaden für Lehrkräfte" findest du viele Helfestellungen und Tipps für ein gelungenes Elterngespräch.
Auch Bildungsinstitutionen unterscheiden sich kulturell voneinander. Die meisten geflüchteten Schüler:innen kommen aus Bildungskontexten, die anders strukturiert sind als das deutsche. Sowohl den Schüler:innen als auch ihren Eltern fehlt es an nötigem Wissen zum hiesigen "System Schule", um sich schnell einzufinden. In manchen Herkunftskontexten ist es z.B. ungewöhnlich, dass Eltern mit der Schule Kontakt aufnehmen und/oder aktiv eingebunden werden. Für die Schüler:innen können Unterrichtsmethoden wie z.B. die Gruppenarbeit ungewohnt sein.
In der Ukraine liegt der schulische Fokus allgemein etwas mehr auf Wettbewerb und Leistung, was sich unter anderem in einer stärkeren Betonung von Tests und direkten Anweisungen durch Lehrpersonen zeigt. Selbständiges Lernen ist weniger verbreitet, und es werden oft mehr Hausaufgaben aufgegeben. Daher ist es entscheidend, Schüler:innen aus der Ukraine während der Umstellung zu unterstützen, Erwartungen und Bewertungskriterien klar zu erklären und auch die Eltern mit einzubeziehen. Letztere können zum Beispiel besorgt sein, dass ihr Kind zu wenig Hausaufgaben macht oder eine qualitativ weniger hochwertige Bildung erhält. Es ist wichtig, diese Bedenken ernst zu nehmen und zu adressieren. Wichtig ist auch zu wissen, dass es in der Ukraine eine intensive Kommunikation zwischen Lehrenden und Eltern gibt, häufig werden hierfür Messenger-Dienste genutzt.
💛 Hier findest du konkrete Informationen zum ukrainischen Schulsystem.
Als Lehrkraft ist es wichtig, sich bewusst zu sein, dass das Wissen über"die Schule" in Bezug auf Schulformen, Abläufe, Leistungserwartungen, Umgangsformen und Unterrichtsmethoden unterschiedlich sein kann. Das Einholen von Informationen – durch konkretes Nachfragen zum Beispiel - kann helfen, einen Perspektivenwechsel zu vollziehen und eigene Voreingenommenheiten gegenüber dem Verhalten einiger Kinder und Eltern zu überdenken. Dies führt häufig zu einer Entspannung von Beziehungen, einer emotionalen Entlastung und unterstützt den Bildungserfolg der Kinder. Daher ist es ratsam, Abläufe und Erwartungen immer wieder genau und klar zu erläutern und hierbei auch schriftliche Übersetzungen und Dolmetscher:innen einzubinden.
Auch negative Erfahrungen mit staatlichen Institutionen, sowie Scham und Unsicherheiten (z.B. aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse) sind weitere Faktoren, die das Verhalten von Eltern gegenüber der Schule stark beeinflussen können. Insgesamt sind solche Missverständnisse oder Ängste häufiger Gründe für ein zurückhaltendes Verhalten der Eltern, als ein tatsächliches Desinteresse am schulischen Erfolg ihrer Kinder.
Wichtig ist auch, seine eigenen Grenzen in Bezug auf das, was man als Lehrkraft leisten kann, zu kennen und zu berücksichtigen. Fragen wie „Kann ich gerade souverän mit der Situation umgehen oder fühle ich mich (emotional) überfordert?“, „Habe ich die entsprechenden Fachkenntnisse oder fehlt es mir an Wissen?“ können dabei helfen, die eigenen Grenzen zu eruieren. Seid ehrlich zu euch selbst und tauscht euch im Kollegium darüber aus. Wie könnt ihr euch gegenseitig unterstützen? Wo könnt ihr Hilfestellung bekommen?
💡 Hierzu noch ein Tipp: Healing Classroom stellt ein Konzept dar, das sich sowohl mit den Bedürfnissen zugewanderter und geflüchteter Schüler:innen als auch mit der Selbstfürsorge und dem Wohlbefinden der Lehrpersonen beschäftigt.
🤝 Es gibt viele Netzwerke, Organisationen und Ressourcen, z.B. lokale NGOs, Flüchtlingshilfeorganisationen und Bildungsbehörden, die Unterstützung für geflüchtete Schüler:innen und ihre Familien bieten. Zögert nicht, diese anzusprechen und auf diese Angebote zurückzugreifen bzw. darauf zu verweisen.