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Seit der correctiv-Recherche "Neue Rechte: Geheimplan gegen Deutschland" vom 10.01.2024 ist klar: Die Thematisierung, Aufklärung und Bekämpfung von Rassismus ist in Deutschland aktueller und bedeutsamer denn je! In den vergangen Wochen sind über 250.000 Menschen auf die Straße gegangen, um gegen Faschismus und Rassismus zu kämpfen und ein Zeichen dagegen zu setzen. Eine wichtige Botschaft! #niewiederistjetzt
Rassismusforscher Prof. Dr. Karim Fereidooni betont jedoch bereits seit vielen Jahren, dass auch in der Schule, wie in vielen anderen Institutionen der Gesellschaft, strukturelle Rassismen und rassistische Denkmuster allgegenwärtig seien. Aus diesem Grund sei es für den Umgang mit Rassismus in der Schule notwendig Lehrer:innen sowie Schüler:innen rassismuskritisch weiterzubilden und zu sensibilisieren sowie den Unterricht auf Grundsätzen einer rassismuskritischen Pädagogik aufzubauen. Rassismuskritik sollte, betont Fereidooni, als Querschnittsaufgabe in allen Fächern thematisiert und als Grundlage und Legitimation von didaktischen Konzepten sowie Unterrichtsmaterialien herangezogen werden (Das Rassismusproblem an Schulen. In: Der Spiegel 2020).
In unserem Dossier "Der Nahostkonflikt im Schulalltag" findest Du einen Videoimpuls von Prof. Dr. Fereidooni zum Umgang mit Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus in der Schule.
Anmerkung: In diesem Dossier werden die Selbstbezeichnungen ‚Schwarz‘ und ‚weiß‘ verwendet. Diese verweisen nicht auf biologische Merkmale, sondern auf politische Konstruktionen. Schwarz sein beschreibt eine gesellschaftliche Position, die von rassistischen Diskriminierungen betroffen ist. Hier wird Schwarz großgeschrieben, um aufzuzeigen, dass es sich um eine ‚konstruierte Zuordnung‘ handelt. Weiß sein bedeutet im Gegenzug dazu, eine privilegierte Position im gesellschaftlich verankerten Rassismus zu haben. Um aufzuzeigen, dass es hier ebenfalls nicht um das biologische Merkmal der Hautfarbe geht, wird weiß kursiv geschrieben.
Das in diesem Dossier zugrundeliegende Verständnis von Rassismus definiert Rassismus als eine
„Ideologie von Herrschaft und Dominanz, die dazu dient, die ungleiche Verteilung von Macht, Privilegien, Ressourcen und Möglichkeiten der Selbstverwirklichung zu legitimieren und zu stabilisieren" (Autor*innen Kollektiv Rassismuskritischer Leitfaden, 2015, S.7).
Rassismus ist hierbei nicht lediglich als Problem einzelner Individuen anzusehen, sondern muss als gesamtgesellschaftliches Merkmal aufgefasst werden. Rassismus wird fortlaufend in „medialen Diskursen, in der Wissensproduktion und Bildung“ sowie in "(un)bewussten individuellen Handlungen reproduziert" (ebd.) Im heutigen postkolonialen Zeitalter spielen im weitverbreiteten Kulturrassismus nicht nur biologische Faktoren, sondern vor allem religiöse, soziale und kulturelle Stereotypisierungen eine Rolle. Es lassen sich daraus zwei verschiedene Merkmale von Rassismus herausstellen:
❌ 1. Rassismus im Sinne der Abgrenzung: Menschen werden aufgrund ihres Erscheinungsbildes oder aufgrund von vermeintlichen (sozialen) Eigenschaften als ‚fremd‘ abgegrenzt. Das ‚Eigene‘ wird, im Sinne von höherwertig, unterschieden und das ‚Fremde‘ wird mit ethnisch-kulturellen Identitäten verknüpft.
❌ 2. Die vermeintliche ‚Andersartigkeit‘ wird als eine kollektive Gesinnung degradiert.
[E]inen richtigen Täter gibt es halt nicht. Es gibt halt sowas wie einen Marionettentäter, nenne ich mal so. Diejenigen, die mich beleidigen, sind auch nur irgendwelche Marionettentäter, die das mal von irgendjemand gelernt haben. Das ist wie eine Kette, die man gut verfolgen kann, denk ich mal. (Nguyen, Toan Quoc, 2013, S. 23)
Die Aussage dieses, von rassistischen und diskriminierenden Beleidigungen betroffenen, Schülers verbildlicht präzise die Begründung und Relevanz eines rassismuskritischen Unterrichts im Bildungskontext.
➡️ Prof. Dr. Karim Fereidooni fasst treffend zusammen: Es gibt kein Rassismus-Gen, sondern wir lernen rassistisch zu sein. Da unsere Gesellschaft bereits seit vielen Jahrhunderten von Rassismus geprägt ist, könne es keine Schule ohne Rassismus geben, sondern nur eine rassismussensible Schule, die sich dessen bewusst ist und sich gegen Rassismus engagiert.
➡️ Im Kontext Schule werden struktureller Rassismus und strukturelle rassistische Machtverhältnisse, mit Ausnahme der Thematik des Nationalsozialismus, jedoch noch immer unzureichend problematisiert.
➡️ Viele Unterrichtsmaterialien sind von "einer unsichtbaren [weißen] Norm" behaftet und reflektieren aus diesem Grund kaum wie historische Bildungsprivilegien die Chancengleichheit beeinflussen. Ein Beispiel hierfür bietet die von Vincent Bababoutilabo 2017 veröffentlichte Masterarbeit über die visuelle Repräsentation Schwarzer Menschen in Musikschulbüchern in Sachsen. Sein Ergebnis: Schwarze Menschen seien vor allem im Bereich der visuellen Repräsentation von Schüler:innen enorm unterrepräsentiert und im Gegensatz dazu sehr häufig, ohne eine rassismuskritische Einordnung, stereotypisiert und klischeebehaftet dargestellt.
💡 Aus diesen Gründen hat es eine immense Bedeutung, dass sich die Institution Schule und ihre Lehrkräfte mit dem durch den strukturell verankerten und durch Sozialisation erlernten Rassismus auseinandersetzen und dies an ihre Schüler:innen weitergeben. Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr, dass Lehrkräfte und Schüler:innen Alltagsrassismus unreflektiert weiterproduzieren.
Der Bildungsauftrag der Schule beauftragt Lehrer:innen, ihren Schüler:innen Räume zu bieten, um über ihre eigenen kulturellen Einflüsse und Sichtweisen, sowie über Stereotypisierungen von Menschengruppen zu reflektieren. Sie sollen lernen, aktiv gegen Diskriminierung und Rassismus einzustehen.
Der Ansatz des rassismuskritischen Unterrichtes führt dies deutlich weiter:
❓ Neben Wissenserwerb über Rassismus, (Post-)Kolonialismus und Intersektionalität ist die Reflexion das zentrale Element.
Eine experimentelle Studie der Universität Mannheim fand heraus, dass angehende Lehrer:innen Schülern mit dem Namen „Murat“ bei gleicher Leistung wie Schüler mit dem Namen „Max“ schlechtere Noten gaben. Dies lässt sich auf (un)bewusste rassistische Denkmuster beziehungsweise rassistische Vorurteile der Lehrer:innen zurückführen. Das Ergebnis verdeutlicht die Relevanz eines rassismuskritischen Unterrichts, für welchen sich Lehrer:innen Wissen über Rassismus aneignen sowie, wie bereits erwähnt, sich selbst und die Institution Schule immer wieder rassismuskritisch reflektieren müssen.
Rassismuskritische Fragestellungen wären beispielsweise:
(Marmer; Papa, 2015, S.23-24)
Rassismuskritische Bildung zielt […] darauf ab, Schüler:innen dazu anzuregen, rassismusrelevante Sachverhalte in Texten, Bildern, Liedern, Karikaturen, Statistiken, Graphiken, Landkarten, Curricula etc. zu erkennen und dekonstruieren zu können. Weiterhin sollen Schüler:innen im Verlauf solcher Bildungsprozesse nachvollziehen lernen, welche Funktionen die Konstruktion von Differenzen haben und hatten, etwa indem danach gefragt wird, wann, wie und weshalb Menschen zu ‚Anderen‘ gemacht werden und wurden und mit welchen Konsequenzen dies für die als ‚anders‘ konstruierten Menschen ebenso wie für die gesamte Gesellschaft einhergeht. (Simon; Fereidooni, 2021, S.4)
Auch mit Schüler:innen können die oben genannten Reflektionsfragen thematisiert werden 💪🏾
Die Lehrer:innenbildung sowie die einzelnen Fachdidaktiken müssen die eigenen Didaktiken sowie Materialien in Schulbüchern rassismuskritisch begutachten und dekonstruieren.
Die rassismuskritische Sensibilisierung gemeinsam mit Schüler:innen im Unterricht kann anhand von Reflexionsfragen in Bezug auf das Schulbuch erfolgen. So kann reflektiert werden, aus welcher Position heraus im Schulbuch gesprochen wird. Sollten rassistische Stereotypisierungen auffallen, kann dies im Plenum thematisiert und diskutiert werden.
Folgende Kurse möchten Dich dabei unterstützen, auf Rassismus an deiner Schule kompetent zu reagieren und dir Wissen und Methoden an die Hand geben, um deine Schule auf ihrem Weg zu einer rassismussensiblen Schule zu unterstützen 💪🏿💪
Amnesty international: Glossar für diskriminierungssensible Sprache (28.02.2017): https://www.amnesty.de/2017/3/1/glossar-fuer-diskriminierungssensible-sprache, 31.01.2024.
Autor*innen Kollektiv Rassismuskritischer Leitfaden: Rassismuskritischer Leitfaden zur Reflexion bestehender und Erstellung neuer didaktischer Lehr- und Lernmaterialien für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit zu Schwarzsein, Afrika und afrikanischer Diaspora. Hrsg. von Projekt Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel (LEO) beim Amt für Weiterbildung und Kultur des Bezirksamtes Mitte von Berlin und Elina Marmer. Hamburg/Berlin: 2015: https://www.elina-marmer.com/wp-content/uploads/2015/03/IMAFREDU-Rassismuskritischer-Leiftaden_Web_barrierefrei-NEU.pdf.
Bababoutilabo, Vincent: AFRICA BLING BLING HAKUNA MATATA. Visuelle Repräsentation Schwarzer Menschen in Schulbüchern des Fachs Musik. In: Schriften online; Musikpädagogik (05). Bababoutilabo: 2017.
Himmelrath, Armin: Max & Murat und die Noten. In: Spiegel Panorama (24.07.2018): https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/tuerkische-schueler-schlechtere-noten-fuer-gleiche-leistungen-a-1219776.html#ref=rss, 31.01.2024.
Marmer, Elina; Sow, Papa: Rassismus, Kolonialität und Bildung. In: Wie Rassismus aus Schulbüchern spricht. Kritische Auseinandersetzung mit >Afrika> - Bildern und Schwarz-Weiß-Konstruktionen in der Schule. Ursachen, Auswirkungen und Handlungsansätze für die pädagogische Praxis. Hrsg. von Elina Marmer, Papa Sow. Beltz Juventa: Weinheim/Basel, 2015, S.7-14.
Nguyen, Toan Quoc: „Es gibt halt sowas wie einen Marionettentäter.“ Schulisch-institutionelle Rassismuserfahrungen, kindloiche Vulnerabilität und Mikroaggression. Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik (02). 2013. S.20-24.
Simon, Nina; Fereidooni, Karim: Rassismus(kritik) und Fachdidaktiken – (K)ein Zusammenhang? – Einleitende Gedanken. In: Rassismuskritische Fachdidaktiken. Theoretische Reflexionen und fachdidaktische Entwürfe rassismuskritischer Unterrichtsplanung. Hsrg,. Von Karim Fereidooni, Nina Simon. Springer: Wiesbaden, 2021, S.1-18.
Unterberg, Swantje: Das Rassismusproblem an Schulen. In: Der Spiegel (15.06.2020): https://www.spiegel.de/panorama/bildung/diskriminierung-an-schulen-sind-lehrerinnen-und-lehrer-rassistisch-a-27fb2d2e-a2e8-4e3d-986f-087540955ac1, 31.01.2024.