Unterrichtsstörungen gehören zum Alltag von Lehrkräften, doch sie belasten und machen das Unterrichten noch anspruchsvoller. Zudem werden sie oft zum Beziehungsrisiko zu den störenden Schüler:innen. Dann wird Unterrichten noch schwieriger, denn die Schüler:innen stören noch mehr und kooperieren weniger. Dieser Lernhack soll dich im Umgang mit Unterrichtsstörungen unterstützen und dir diesen Stress ersparen.
Grundlagen
1. Frühzeitig eingreifen, bevor kleine Probleme groß werden. Also bereits in den ersten Schultagen eines neuen Schuljahres. Im Classroom-Management ist klar: „Wir haben nie mehr Einfluss auf unsere Klasse als Ganzes und auf jede:n einzelne:n unserer Schüler:innen als in der ersten Tagen eines neuen Schuljahres“.
2. Zügig und ruhig intervenieren: Das hört sich einfach an, ist aber richtig anspruchsvoll. Unterrichten ist stressig, man ist oft nicht entspannt. Dann wird es sehr schwierig, ruhig zu handeln und gelingt auch nicht immer. Vermutlich kann kaum jemand immer unaufgeregt und ruhig intervenieren. Das ist bei der Belastung des Lehrberufs ganz normal.
3. Blickkontakt aufnehmen: Blickkontakt zum störenden Schüler oder zur störenden Schülerin aufnehmen. Damit signalisieren wir: „Ich sehe, dass du dich unangemessen verhältst. Hör bitte damit auf“.
4. Wenn Blickkontakt nicht reicht, Nähe herstellen: Langsam und unauffällig in seine oder ihre Nähe begeben. Dabei parallel weiter unterrichten und immer wieder Blickkontakt aufnehmen.
5. Nonverbal intervenieren: Schüler:innen der unteren Klassen z.B. eher mit Signalkarten signalisieren, was sie tun sollen. Bei älteren Schüler:innen mit Gesten. Die Schüler:innen sollen merken, dass wir uns annähern und das Stören nicht billigen. Manche hören dann schon auf zu stören.
6. Diskret intervenieren: Wenn ein:e Schüler:in weiter stört gehen wir direkt zu ihm oder ihr hin und schauen ihn oder sie an. Wenn das störende Verhalten immer noch nicht aufhört, flüstern wir ihm oder ihr zu, was zu tun ist.
7. So schnell wie möglich weiter unterrichten: Dies ist eine der wichtigsten Leitlinien nachdem ein:e Schüler:in diskret auf das störende Verhalten hingewiesen wurde. Vielleicht unterrichtest du sogar mit einem Kompliment weiter: „Interessant, Maria, was du gerade gesagt hast…“. Die Klasse erlebt dich als souverän, was dein Ansehen und deine Sympathie steigern.
8. Darauf achten, ob der Schüler oder die Schülerin der Anweisung nachkommt: Wenn störende Schüler:innen spüren, dass du dich nicht darum kümmerst, ob sie der Anweisung nachkommen, werden sie diese zukünftig nicht mehr befolgen. Das ist ihnen natürlich nicht bewusst, dennoch reagieren viele Schüler:innen so.
9. Wenn ein:e Schüler:in eine Anweisung befolgt, zeitnah Anerkennung und Wertschätzung geben. Warum? Zum einen ist es nicht selbstverständlich, dass Schüler:innen unsere Anweisungen befolgen. Zum Beispiel weil sie sich über schlechte Noten geärgert haben, sich durch den aktuellen Lerninhalt überfordert fühlen oder sich nicht dafür interessieren. Zum anderen signalisieren wir, dass wir ihnen nichts nachtragen und nichts gegen sie als Menschen haben. Das ist vor allem dann wichtig, wenn ein:e Schüler:in eine Ermahnung als kränkend erleben könnte. Denn das wäre ein potentielles Beziehungsrisiko.
10. Bei kleinen Störungen konsequent handeln: Wenn wir bei Störungen nicht intervenieren, werden die Schüler:innen weiter stören. Warum sollten sie auch aufhören, wenn niemand etwas sagt. Das ist aber noch nicht alles. Denn auch andere fangen an, mehr zu stören. Wenn wir nicht konsequent intervenieren, stecken Störungen an und nehmen zu.
Was wir besser nicht tun: Schüler:innen ermahnen, indem wir ihnen aus großer Entfernung zurufen. Durch die Entfernung zu den Schüler:innen kommt unsere Intervention weniger stark bei ihnen an und sie befolgen sie weniger, als wenn wir in ihrer Nähe sind. Es besteht zusätzlich das Risiko, dass sie unsere Intervention als Gesichtsverlust oder beleidigend erleben.
👉 Classroom-Management-Tipp
Auf Ermahnen und Kritik – folgen möglichst zeitnah Lob und Anerkennung! (Eichhorn, 2018)
Zum Beispiel dem Schüler oder der Schülerin freundlich zunicken, oder ihnen zuflüstern, was sie schon gut machen: „Dario, prima, dass du dich meldest“ oder „Du sitzt schon auf deinem Platz Giovanni, danke“.
Fallbeispiele
Eine Lehrerin sagte: „Bei Schüler:innen, die sehr viel stören, mache ich mir klar:
- sie haben noch nicht gelernt, es besser zu machen,
- vermutlich brauchen sie Unterstützung, um das zu schaffen,
- sehr wahrscheinlich wird es auch später zu Rückfällen kommen. Das ist normal.
Ich mache mir das öfter in Ruhe klar. Dadurch sind mir die störenden Schüler:innen sympathischer geworden und ich konnte entspannter handeln, wenn sie störten“.
Während eines Unterrichtsgesprächs klopft Paolo mit seinem Bleistift auf seinem Tisch herum. Herr Gruber nähert sich ihm und sagt ihm als er neben ihm steht ruhig und sachlich: „Paolo, bitte lege den Stift in dein Mäppchen und beteilige dich am Unterricht.“
Spezial-Intervention: Mit einer Würdigung starten
Statt die Schüler:innen nur anzuweisen, erinnern wir bei diesem Vorgehen an eine Situation, in der sie sich angemessen verhalten hatten.
Dario redet oft dazwischen – jetzt wieder. Seine Lehrperson hat aber beobachtet, dass er sich vorhin gemeldet hat, als er etwas sagen wollte. Jetzt nimmt sie darauf Bezug und sagt: „Vorhin hast du dich gemeldet, als du etwas sagen wolltest, Dario – das war prima – bitte melde dich“.
Nese schreit bei der Kleingruppenarbeit oft laut rum. Ihre Lehrerin hat beobachtet, dass sie sich gestern ruhig verhalten hat. Als sie wieder laut wird, begibt sich ihre Lehrerin sofort in ihre Nähe und flüstert ihr zu: „Gestern hast du bei der Kleingruppenarbeit leise gesprochen, Nese – bitte mache das wieder so.“
Ruben und Ute sprechen miteinander, während ein Mitschüler etwas präsentiert. Die Lehrerin sagt: „Gerade vorhin habt ihr noch gut aufgepasst – bitte passt jetzt wieder auf.“
Darauf zurückkommen
Ein Schüler mit häufigem sehr herausforderndem Verhalten hat eine Anweisung befolgt. Seine Lehrerin hat ihm gleich Anerkennung gegeben. Sie hat beobachtet, dass er positiv darauf reagiert – eine extrem wertvolle Beobachtung. Jetzt weiß sie, dass sie weiter bei ihm auf Anerkennung setzen kann. Am nächsten Morgen sagt sie zu ihm: „Ahmed, es hat mich gefreut, wie schnell du gestern ruhig wurdest, als ich dich darum gebeten hatte – vielen Dank.“
Die Interventionsleitlinien bei kleinen Störungen üben
Die oben beschriebenen Interventionsleitlinien klingen einfach. Aber ihre Umsetzung zeigt einmal mehr, wie anspruchsvoll der Lehrberuf ist. Denn sogar Lehrpersonen, die diese Interventionsleitlinien perfekt kennen, gelingt es nicht immer, sie umzusetzen. Das ist ganz normal. Wir sind ja Menschen und keine Maschinen.
Es kann hilfreich sein, mit Kolleg:innen darüber zu sprechen und ein gemeinsames Vorgehen zu planen: Frau Jurca hat gleich zu Beginn des neuen Schuljahres auf der Vorderseite kleiner Spickzettel häufige Unterrichtsstörungen notiert. Sie trifft sich mit ihren Kolleg:innen, die die gleiche Klasse unterrichten. Gemeinsam überlegen sie, wie sie bei solchen Störungen vorgehen könnten. Dabei orientieren sie sich an den in diesem Lern-Hack besprochenen Aspekten.
Eine Möglichkeit ist, die Interventionsleitlinien Zuhause zu üben: Als sie zu Hause ist notiert Frau Jurca eine Störung auf der Vorderseite eines Spickzettels. Auf der Rückseite notiert sie die dazugehörende Intervention. Einige Zeit später fühlt sie sich wohl und ist gut entspannt. Sie liest die erste Störung durch. Um die Schülerin zu präsentieren hat sie bei sich zu Hause ein Kissen auf einen Stuhl gelegt. Das Kissen soll die Schülerin darstellen. Jetzt übt sie anhand des Kissens die gemeinsam erarbeitete Intervention ein. Also z.B. Blickkontakt zur Schülerin herstellen, sich in ihre Nähe begeben, die Schülerin nur kurz anweisen, was sie tun soll, dabei ruhig und sachlich sprechen, dann sofort weiter unterrichten, die Schülerin dabei aber im Auge behalten und darauf achten, ob sie der Anweisung nachkommt, dann freundlich Anerkennung geben. Das macht sie bei drei Fallbeispielen, was etwas mehr als fünf Minuten dauert. Nach einigen Tagen wiederholt sie das Ganze. Ziel ist, dass sie die Interventionsleitlinien automatisiert im Klassenzimmer abrufen kann.
Viele Lehrpersonen haben auch gute Erfahrungen damit gemacht, sich die für sie wichtigsten Aspekte der Interventionsleitlinien bei kleinen Störungen während ihrer morgendlichen Fahrt mit dem Auto oder dem Zug zur Schule zu verinnerlichen.