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Interview mit Alexander Clahes

Interview

„Es tut Menschen einfach gut, sich mit anderen über bedrückende Ereignisse auszutauschen“

Im Schulflix-Interview spricht Alexander Clahes, psychologischer Berater und Coach, über Stress, seine Motivation, Lehrkräfte zu unterstützen und darüber, wie wir Kindern in schwierigen Zeiten ein Gefühl von Sicherheit geben können.

Illu-Clahes

Lieber Alexander, stell Dich gern kurz vor. Wofür brennst du und wie kam es zu Deiner Entscheidung, Psychologe zu werden?

Als meine Frau vor einigen Jahren vom Lehrerberuf zum Lehrercoaching wechselte, nutzte auch ich die Phase der beruflichen Neuorientierung und entschloss mich, meinem langen Traum des Psychologiestudiums auch endlich Leben einzuhauchen. Mich erfüllt es immer wieder, wenn ich Menschen bei ihren Veränderungsprozessen begleiten darf. Ich finde faszinierend, wie viel Ressourcen und Möglichkeiten in Klient:innen schlummern und freigesetzt werden, wenn sie sich selbst erst einmal die Erlaubnis für persönliche Veränderung gegeben haben.

 

Gemeinhin wird ja gern behauptet, dass Psycholog:innen sehr gut zuhören können – was sind deine geheimen Superkräfte?

Ich denke, ich kann mich gut auf Menschen einstellen und habe eine recht rasche Auffassungsgabe. Außerdem sagt man mir einen angenehmen Humor und Wortwitz nach. Das kann in passenden Situationen etwas von der Schwere nehmen, sodass mit etwas mehr Gelöstheit die Bereitschaft bei Klient:innen deutlich erhöht ist, andere Perspektiven zuzulassen.

Das Zuhören ist natürlich im beratenden Bereich essenziell. Denn nur durch aktives Zuhören erhalte ich den notwendigen Einblick in die Gefühls- und Erlebenswelt der Klient:innen – ich muss mir ein Bild davon machen können, wie sie zu ihren Sichtweisen gekommen sind und welche Narrative damit einhergehen. Das schaffe ich nur, wenn sich mein Gegenüber mir öffnet und mitteilt.

 

Wie ist es dazu gekommen, dass du deine Superkräfte verstärkt für die Unterstützung von Lehrkräften einsetzt?

Meine Frau ist seit einigen Jahren als LehrerCoach aktiv. Als sie dazu überging, Gruppen in Live-Onlineprogrammen zu begleiten, fand ich mich plötzlich neben ihr auf dem Sofa wieder…

Schnell wurde klar, dass Lehrkräfte nicht nur schulische, sondern allgemeinmenschliche Themen umtreiben, zu deren Beratung ich mit psychologischem Input sinnvoll beitragen kann.

Gerade dort, wo täglich viele Individuen unterschiedlicher Altersstufen aufeinandertreffen, ist auch die gesamte Bandbreite des menschlichen Verhaltens und Erlebens erfahr- und spürbar. Lehrer:innen bestehen ja nicht aus Teflon.

Nach über einem Jahr gemeinsamen „LockerLehrer-Trainings“ mit meiner Frau und zahlreichen Teilnehmer:innen habe ich vieles über die schulischen Hintergründe erfahren und z.T. auch mit Hypnosetherapie bedienen dürfen. Das Wissen um die speziellen Herausforderungen und Hintergründe in diesem Beruf, verzahnt mit fundiertem psychologischem know-how, gewährt mir die Möglichkeit, zielgerichteter für meine Klient:innen wirken zu dürfen.

Sich nur einmal am Tag zu einer festgelegten Uhrzeit und aus einer bestimmten, seriösen Quelle zu informieren kann die emotionale Last verringern.

Was ist dein Antrieb? Warum glaubst du, ist es wichtig, für Lehrkräfte eine Anlaufstelle für psychologische Themen zu haben?

Ein oft zu beobachtendes Phänomen bei Lehrkräften ist der Umstand, dass sich Lehrer:innen erst Hilfe holen, wenn es eigentlich wirklich nicht mehr geht und der Körper und/oder die Psyche streikt. Die Signale, die bei Dauerbelastung vor einem Zusammenbruch auftreten, werden nicht wahrgenommen oder weggedrückt. Sich in Krisensituationen helfen zu lassen wird leider oftmals noch als Schwäche angesehen. Auch das schlechte Gewissen, die Schüler:innen im Stich zulassen oder Kolleg:innen mehr zu belasten, wenn man kürzer tritt oder an entscheidender Stelle „Nein“ sagt, treibt Lehrkräfte oft weit über die eigenen Grenze hinaus. Lehrkräften hier ein niederschwelliges Angebot zu machen, dass sie ermutigt, sich selbst wichtig nehmen zu dürfen, kann der erste wichtige Schritt für zukünftig gelebte Selbstfürsorge sein.

 

Stress ist eins der großen Themen bei uns Lehrkräften, die Belastung ist oft dauerhaft sehr hoch und es fällt schwer, abzuschalten. Wie können wir es dennoch schaffen, uns Auszeiten zu nehmen und unsere Ressourcen zu stärken?

Um einen erfolgreichen Übergang zwischen der Schule und dem eigenen Privatleben als Ressourcenquelle hinzubekommen, ist es entscheidend, sich überhaupt erst einmal mal wieder bewusst zu machen, dass das eigene Leben aus mehr als nur Schule besteht. Das klingt banal, aber viele Lehrkräfte sind schon lange „out of touch“ mit ihren ureigensten Bedürfnissen. Das Wieder-Wahrnehmen ist dabei der erste Schritt auf dem Weg aus der Stress-Hypnose.

In der Beratung schauen wir unter anderem, aus welchen kraftspendenden Facetten das Leben der Lehrkraft noch besteht, die aber schon allzu lange vernachlässigt wurden. Je facettenreicher sich ein:e Klient:in außerhalb des schulischen Kontexts wieder empfinden kann, desto wirkmächtiger kann sie die Folgen ihres Arbeitstages abfedern. Was dann erfolgen muss, ist dass die Person sich selbst ermächtigt und erlaubt, für sich zu sorgen. Vielen fällt das unheimlich schwer, da ja irgendwie immer „die Pflicht“ sehr laut ruft. Wir schauen dann, wie man gesunde neue Routinen kleinschrittig in den Schultag integriert und formt.

 

In der krisenhaften Zeiten ist es für viele noch herausfordernder in der eigenen Mitte zu bleiben. Wie können wir Lehrkräfte für unsere eigene Stabilität sorgen, um für unsere Schüler:innen da zu sein?

Die aktuelle Zeit ist für uns alle psychisch herausfordernd. Wie schon zu Beginn der Corona-Pandemie wurden wir der Illusion beraubt, dass große Ereignisse vorhersehbar sind oder sich ankündigen müssen.

Die Dynamik und auch Komplexität hat nicht nur uns, sondern auch viele Fachleute überrascht, und selbst unserer Intuition konnten wir nicht mehr vertrauen. All das führt zu einem Gefühl, die Welt nicht mehr zu verstehen und mündet in einem Gefühl des Kontrollverlustes.

Wir haben aber durchaus Kontrolle darüber, wie intensiv und wie lange wir Medien und Nachrichten konsumieren. Unser dringendes Verlangen, wieder Sicherheit zu empfinden, kann uns dazu verleiten, alle Informationen ungebremst zu konsumieren oder den Kopf komplett in den Sand zu stecken. Beide Strategien vergrößern aber die Unsicherheit. Sich nur einmal am Tag zu einer festgelegten Uhrzeit und aus einer bestimmten, seriösen Quelle zu informieren kann die emotionale Last verringern. Auch ein Medienwechsel – Zeitung statt Internet oder TV – kann schon eine erholsamere Distanz zur 24/7-Informationsflut verschaffen. Diesen Abstand brauchen wir, um erkennen zu können, was wir eigentlich in unserer direkten Umgebung tun können.

Dort können wir dann unserer Kreativität, die wir sonst nur für kognitive Horrorszenarien verpulvern, ungebremst ausleben. Welche alltäglichen Routinen helfen mir dabei, welche neuen Routinen möchte ich schaffen? Was hilft mir, im Hier und Jetzt zu bleiben? Sich täglich bewusst zu machen, dass man selbst gerade nicht in akuter Lebensgefahr schwebt, auch wenn es sich manchmal so anfühlt. Und sich zu erlauben ohne Schuldgefühle auch Momente der Freude zuzulassen.

Ob nun Friedensbilder gemalt oder gleich Spendenaktionen durchgeführt werden, ist dabei nebensächlich. Es kommt darauf an, einfach wieder für einen Moment spüren zu können, dass man etwas tun kann.

Auch für die Schüler:innen stellt der Umgang mit dem Krieg eine echte Herausforderung dar: Was brauchen sie jetzt von uns Lehrkräften? Wie können wir Ihnen ein Gefühl von Sicherheit geben?

Kinder haben sehr feine Antennen für die Stimmungen und Schwingungen in ihrer Umgebung. Es wäre verkehrt, ihnen da etwas vorzumachen und alles zu beschwichtigen. Die Lehrkraft darf dabei authentisch sein und ihre eigene Betroffenheit zeigen. Genau das sollte auch den Schüler:innen ermöglicht werden und in einem geschützten Rahmen sollte über die Gefühle der Unsicherheiten und Sorgen miteinander gesprochen werden dürfen.

Es tut Menschen einfach gut, sich mit anderen über bedrückende Ereignisse auszutauschen und zu merken, dass man nicht alleine damit ist. Aber auch die Gefühle der Ohnmacht, die auch uns Erwachsene überkommen, in Aktivitäten zu kanalisieren und dort kreativ zu sein. Ob nun Friedensbilder gemalt oder gleich Spendenaktionen durchgeführt werden, ist dabei nebensächlich. Es kommt darauf an, einfach wieder für einen Moment spüren zu können, dass man etwas tun kann.

 

Zum Abschluss: Was tust du in solchen Zeiten, um wieder Energie und Zuversicht zu tanken?

Mein wertvollster Anker ist meine Familie. Wenn ich, allem Weltgeschehen zum Trotz, achtsam bleibe für die alltäglichen kleinen Überraschungen, die man als Eltern mit Kindern erleben kann, macht mich dies auch in Krisenzeiten dankbar und glücklich.

Ebenso nehme ich mir täglich die Zeit für Meditationen oder Arbeiten, die nicht meinen Kopf erfordern. Beides hilft mir, innerlich wieder etwas Abstand zu gewinnen und wieder die Dinge um mich herum wahrzunehmen, die wunderbar sind.

Unser Interview-Partner

Alexander Clahes

Alexander Clahes ist psychologischer Berater, Coach und leidenschaftlicher Familienvater. Er führt akkreditierte Kursen für Lehrer:innen zum Thema Persönlichkeit, Kritik und Resilienz durch und ist ab Mai mit einer Sprechstunde für Lehrkräfte auf Schulflix vertreten.

Mehr Informationen zu Alexander auf seiner Website.