Hast du Fragen? Kontaktiere uns jederzeit via E-Mail hallo@schulflix.com oder telefonisch unter +49 221 828 291 09.
Autorin: Alicia Speuser
Der wesentliche Kern bleibt oft unentdeckt – aber warum? Unsere Schüler:innen werden immer mehr vor Herausforderungen gestellt. Der Leistungsdruck in Schulen wird gefühlt immer größer und die Corona-Pandemie hat ihr Übriges hinzugefügt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist die mentale Gesundheit der Schüler:innen auch in der Gesellschaft und den Medien Thema geworden. Die Schüler:innen waren über einen langen Zeitraum sozial isoliert und Schule war plötzlich nicht mehr das, was sie einmal war. Doch was ist mit den Schüler:innen, für die die Schule der sichere Ort war, weil es zu Hause eben nicht sicher und geborgen ist? Viele Eltern haben sich getrennt, Homeschooling wurde zu Überforderung vieler Familien und die Kinder kamen an ihre mentalen Grenzen. Ein Normalzustand in vielen Familien über einen langen Zeitraum. Doch ist alles wirklich nur die Corona-Pandemie schuld? Oder ist sie doch nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat?
Jede:r von uns kennt das Gefühl, wenn das eigene Bedürfnis nicht gestillt wird. Wir alle haben den Wunsch nach Sicherheit, Kontrolle, Zugehörigkeit, Lust/Unlust oder auch nach Selbstwerterhöhung bzw. Selbstwertschutz. Dennoch gelingt es uns im Alltag nicht immer, dass unsere Bedürfnisse angemessen berücksichtigt werden. Ohne die Erfüllung unserer Grundbedürfnisse geraten wir aber in ein psychisches Defizit, das uns vor eine mentale Herausforderung stellt. Zusätzlich problematisch wird es dann, wenn wir im Laufe unserer Entwicklung keine Handlungsalternativen oder einen bedürfnisorientierten Umgang erlernt haben. Auch Einschränkungen in der Entwicklung der emotionalen Intelligenz, die die Fähigkeit der Wahrnehmung, des Verstehens und der Beeinflussung der eigenen und fremden Gefühle umfasst, können zu mentalen Herausforderungen werden.
„Die Kinder von heute halten nichts mehr aus und sind total verweichlicht“ – wie oft hört man den Satz, vor allem aus älteren Generationen? Doch ist es wirklich so? Sind unsere Schüler:innen einfach nicht mehr stressresistent genug?
Fakt ist, dass es im Leben unserer Schüler:innen förmlich nur vor Stressfaktoren wimmelt. Ständig warten neue Herausforderungen und Belastungen auf sie und das nicht nur in der Schule oder im Familiensystem. Dabei gilt es, eine Differenzierung zwischen punktuellen und längerfristigen, mentalen Herausforderungen vorzunehmen. Punktuelle, mentale Herausforderungen treten in einem bestimmten kurzen Zeitpunkt auf und haben einen situativen oder kurzfristigen Einfluss auf das Leben der Schüler:innen während längerfristige, mentale Herausforderungen oftmals längere Lebensphasen beanspruchen.
Wie man anhand der Aufzählung erkennen kann, sind die mentalen Herausforderungen vielfältig. Bei der Vielfältigkeit ist es mittlerweile schwer, die häufigsten psychischen Probleme der Kinder herauszustellen, wenngleich der Leistungsdruck, (Cyber-)Mobbing und familiäre Konflikte nach wie vor die Spitze bilden. Aber wie kommt es zu den ganzen vielfältigen mentalen Herausforderungen?
„Alles nur die Corona-Pandemie und der ständige Leistungsdruck schuld?“ – NEIN! Auch wenn außer Frage steht, dass die Corona-Pandemie und auch die Schule enormen Stress auf unsere Schüler:innen von heute ausgewirkt hat bzw. auswirkt, sind diese bei Weitem nicht die einzigen Einflussfaktoren. Hier macht es Sinn, die inneren von den äußeren Einflussfaktoren zu unterscheiden. Die inneren Einflussfaktoren ist die eigenen Lebensbiografie mit den eigenen Erfahrungen, Erlebnissen und Entwicklungsmöglichkeiten. Nicht selten führen diese punktuell oder auch längerfristig zu mentalen Herausforderungen. Dem gegenüber stehen die äußeren Einflussfaktoren, die sich teilweise in einem Wandel befinden. So haben die Digitalisierung oder auch die digitalen Medien plötzlich das Cybermobbing entwickelt. Die Schüler:innen können sich teilweise nicht mehr schützen vor Angriffen im Internet, da vieles anonymisiert abläuft. Die Täter:innen fühlen sich dabei immer sicherer, weil sie in der Regel unentdeckt bleiben. Unsere Gesellschaft wird gefühlt immer leistungsorientierter, dass sich besonders nach PISA und Co. immer mehr in die deutschen Schulen implementiert. Aber welche Warnsignale gibt es eigentlich für die mentalen Herausforderungen unsere Schüler*innen?
„Schüler:innen, denen es wirklich schlecht geht, zeigen immer ein sichtbares, auffälliges Verhalten“ – ein Mythos, der sich bis heute standhaft in vielen Köpfen hält. Die Antwort lautet: NEIN – eben nicht! Genau dieser Gedanke macht es im schulischen Alltag oft noch schwerer. Die Wahrheit ist, dass die Warnsignale mentaler Herausforderungen so vielfältig und individuell sein können wie der eigene Fingerabdruck. Dabei kann man zwischen sichtbaren und unsichtbaren Warnsignalen differenzieren.
Genau diese unsichtbaren Warnsignale machen es uns oft noch schwerer, weil sie teilweise lange Zeit unentdeckt bleiben. Teilweise werden sie auch nie entdeckt und die Schüler:innen bestehen trotz dieser enormen mentalen Belastung ihren Schulabschluss. Manchmal gehen sie nach einer Zeit auch in sichtbare Warnsignale über, aber das muss nicht zwangsläufig der Fall sein! Doch: Auch Schüler:innen, die unsichtbare Warnsignale zeigen, brauchen unsere Hilfe! Auch sie leiden sehr unter ihrer aktuellen psychischen Verfassung. Leid ist eben nicht immer sichtbar! Viele Kinder und Jugendliche haben im Laufe der Zeit eine starke Fassade mit vielen Kompensationsstrategien entwickelt, die es zu erkennen und zu durchbrechen gilt – aber wie?
„Der Lehrplan ist so voll, da bleibt für alles andere einfach keine Zeit mehr!“ – dabei ist genau das so wichtig. Natürlich haben die Lehrkräfte einen Bildungsauftrag, den sie erfüllen müssen. Zeitgleich sollen sie aber auch die Kinder auf eine uns bis dato unbekannte Gesellschaft von morgen vorbereiten. Genau da finden die mentalen Herausforderungen Berücksichtigung im Klassenzimmer. Wie soll ein Kind mit mentalen Herausforderungen dem Leistungsanspruch des Schulsystems denn auch ohne Unterstützungsmaßnahmen gerecht werden? Aus der Forschung ist uns bekannt, dass die Amygdala – als Ort der Emotionen – und der Hippocampus – als Ort des Lernens – eng miteinander verbunden ist. Warum sollten wir das in unsere Lernumgebung im Unterricht nicht dann auch entsprechend integrieren? Es gibt zwei wesentliche Konzepte, die das Lernen mit mentalen Herausforderungen vereinfachen können. Auf der einen Seite steht die Haltung des guten Grundes – ein Ansatz aus der Traumapädagogik – mit der Annahme, dass eine Person im Laufe ihres Lebens Verhaltensstrategien zur Meisterung von Herausforderungen und Belastungen entwickelt. Die Verhaltensstrategien etablieren sich aus den eigenen Erfahrungen, Erlebnissen und der eigenen Sozialisation. Dadurch können Irritationen entstehen, z.B. wenn mein Gegenüber sich in einem traumaausgelösten Hyperarousal befindet und/oder, wenn man den Lebenshintergrund nicht kennt. Genau daran knüpft die Haltung des guten Grundes an. Sie geht von der Existenz eines guten Grundes für das Denken, Handeln und Fühlen des Gegenübers aus, dies langfristig zu mehr Verständnis und einer Entlastung in der Zusammenarbeit mit Schüler:innen und Eltern führt. Auf der anderen Seite befindet sich der mentalisierungsbasierte Ansatz – eine integrative Methode aus der Psychotherapie – die das Lesen der eigenen mentalen Zustände und der der anderen umfasst. Dabei geht es um das Verständnis des eigenen Ichs, der Fähigkeit der Selbstregulation und der Selbstberuhigung. Dies wiederum kann die Kommunikation und den Umgang untereinander im Klassenzimmer nachhaltig positiv verstärken. Auch bei der Gestaltung der individuellen Lernprozesse können die mentalen Herausforderungen der Schüler:innen berücksichtigt werden, z.B. durch das Einteilen der Lernaufgabe in kleinere, pausenunterteilte Abschnitte, dem flexiblen Sitzen oder durch Gefühlsregulationsboxen mit entsprechenden Skills (z.B. Antistressbälle, Gummibänder, etc.) im Klassenzimmer. Auch das selbstregulierte Lernen kann hierbei einen positiven Effekt bewirken, da die Schüler:innen lernen, ihre eigenen Ziele zu setzen, ihren Arbeitsprozess bedürfnisorientiert zu gestalten und dabei ihren Lernprozess zu überwachen und angemessen zu reflektieren. Für eine ganzheitliche Unterstützung ist die Zusammenarbeit im multiprofessionellen Team oder auch mit den Eltern unabdingbar. Aber wie kann das gut und zielführend gelingen?
„Eltern – ohne sie geht es nun einmal nicht!“ Auch wenn manchmal die mentalen Herausforderungen im Familiensystem verankert sind, geht es oftmals nicht ohne die Unterstützung der Eltern. Auch bei familienbedingten Herausforderungen ist ein Gespräch mit ihnen unabdingbar. Nur auf diese Weise haben sie die Möglichkeit, Veränderungen in der Erziehung oder den familiären Umständen vorzunehmen. Dabei ist es besonders wichtig, dass sich Lehrkräfte und Eltern als Team verstehen, das gemeinsam das Beste für das betreffende Kind mit verschiedenen Expertisen erreichen möchte. Auch hier können die oben beschriebenen Konzepte der Haltung des guten Grundes und der mentalisierungsbasierte Ansatz wahre Wunder bewirken, da sie durch ihre Akzeptanz und Offenheit eine gute und vertrauensvolle Gesprächsbasis bilden. In Gesprächen können Handlungsmethoden für das Elternhaus erarbeitet, Konflikte eruiert und lösungsorientiert beleuchtet oder aber auch Maßnahmen in Form von Hinweiszetteln „Ich/Wir bitte/bitten um Nachsicht“ für schulische Rücksichtsmaßnahmen auf Basis von mehr Zeit, Geduld oder Zuwendung abgesprochen werden. Zusätzlich können Eltern ihre Kinder durch verschiedene außerschulische Unterstützungs- oder Präventionsmaßnahmen unterstützen. Aber wie sehen diese in der heutigen Zeit aus?
„Es dauert ewig bis man einen Therapieplatz hat“ – eine Tatsache, die das deutsche Gesundheitssystem seit Jahren belastet. Durch die steigende Zahl des Bedarfes an Psychotherapie für unsere Schüler:innen wird das Problem nicht kleiner. Ist alles deswegen hoffnungslos? NEIN! Innerschulisch gibt es das multiprofessionelle Team z.B. der/die Schulsozialarbeiter:in oder Sonderpädagog:innen, die unsere Schüler:innen, sowie Lehrkräfte und Eltern mit anderer Expertise begleiten können. Auch der schulpsychologische Dienst stellt eine erste Anlaufstelle dar. Der Markt wird auch immer mehr erweitert durch verschiedene Formen von Elterncoaching oder Präventionsprogrammen (wie z.B. Stark ins Neue von Julia Keltsch oder Stark auch ohne Muckis von Daniel Dudek), die die Resilienzförderung der Schüler:innen fokussieren. Eine weitere Anlaufstelle könnten auch Lerntherapeut:innen sein, sofern die mentalen Herausforderungen mit Lernschwierigkeiten einhergehen bzw. sich in einem Teufelskreis zueinander verhalten. Neben der Behandlung der entstandenen Lernschwierigkeiten werden auch der Selbstwert und die emotionale Belastung in den Blick genommen. Besonders bei psychischen Störungsbildern oder einem Verdacht ist eine psychotherapeutische Unterstützung ratsam.
Wir alle können uns über viele Missstände oder Stolpersteine in der Gesellschaft oder auch im Schulsystem beschweren. Doch eines ist klar! Den Tag x, an dem die langersehnte Veränderung plötzlich eintritt, wird es so schnell nicht geben. Deshalb sei du ein Teil der Veränderung, den die Schüler:innen von heute dringend brauchen! Denn sie brauchen Lehrkräfte, Eltern und Menschen, die sie bedürfnisorientiert begleiten, in all ihrem Sein wahrnehmen, schätzen und sie bei ihren individuellen Entwicklungen unterstützen. Für uns ist es oft nur ein Moment der Aufmerksamkeit oder des Handelns. Für die Schüler:innen ist es oft lebens- und zukunftsentscheidend! Sieh’ hin und hilf’ ihnen!